Erna Friederici an Ernst Haeckel, Berlin, 21. Dezember 1917
Berlin, Bülowstr. 73
21. Dez. 17.
Hochverehrter Herr Professor Haeckel!
Wie liebenswürdig von Ihnen, mir einen so lieben Brief zu schreiben. Sie haben mir eine große Freude bereitet. Sie haben mit Ihren Worten nur zu recht. Unsere Politik ist miserabel, und es ist wenig Hoffnung, daß sie bald besser wird. Einen Mann wie Bismarck sollten wir haben, da wäre vieles anders. Daß Ihr Lebensabend || durch diesen wahnsinnigen Krieg mit seinen trostlosen Begleiterscheinungen so getrübt wird, ist mir schmerzlich. – Wie oft sagen jetzt meine Mutter und ich, es war für meinen Vater, der den Krieg haßte, ein Segen, daß er vor Ausbruch desselben sein Leben beschließen durfte. Wie würde er jetzt leiden!
Mich richtet immer wieder die Arbeit an der Jugend auf. Als Lehrerin an der Pflichtschule sind mir die 14–17jährigen Mädchen anvertraut und die besten von ihnen gehen nach der Schulentlassung in den || von mir gegründeten Jugendbund. Da habe ich nun Gelegenheit, meine Ideale in die aufnahmefähigen Herzen der jungen Mädchen zu pflanzen. Da lese ich mit den 19jährigen unseren Altmeister Goethe und finde ein überraschend feines Verständnis oft. – Durch Vorträge über das Leben unserer Dichter, unserer Maler, durch Betrachten von Kunstwerken veredelt sich ihr Geschmack – auf unseren Wanderungen vertieft sich die Liebe zur Natur – kurz ich versuche ihnen das Wahre, Gute, Schöne, die 3 hehren Gottheiten unseres Monismus, nahe zu bringen, und ich habe Erfolg. || Erst gestern kam ein junges Mädchen zu mir, um mir zu danken – weil ich ihr Leben so unendlich bereichert habe. Das tut wohl und spornt mich an, immer mehr zur Vervollkommnung an meinem eigenen Ich zu arbeiten, damit ich helfen kann, das oft so grausame, oft so öde Leben zu verschönern, zu veredeln. – So vergesse ich den Krieg, wenn diese guten begeisterungsfähigen Mädchen um mich sind. Und einmal – in fernen, unendlich fernen Zeiten – wird die Menschheit doch das Ziel erreichen, dasa uns vor 13 Jahren schon in greifbare Ferne gerückt schien. Und jene Stunden in Rom – wir haben sie doch miterlebt, das bleibt.
Mögen Sie sich Ihres Urgroßvaterwürde doch noch herzlich freuen können und mögen Sie die Weihnachtstage – wenn auch kein Friede auf Erden ists – gesund verleben.
Es denkt Ihrer so oft und gern in steter Dankbarkeit
Ihre Erna Friederici
a korr. aus: daß