Siebold, Carl Theodor Ernst von

Carl Theodor Ernst von Siebold an Ernst Haeckel, München, 27. März 1865

München den 27/3 65

Verehrtester Herr College!

Obgleich ich durch Herrn Anton Dohrn, Ihren eifrigsten Schüler und Verehrer, erfahren habe, daß Sie gegen Mitte April nach Berlin kommen wollen, und ich dort das Vergnügen haben werde, Sie zu sehen und zu sprechen, so will [ich] doch noch vor Beginna meiner Ferienreise, die ich morgen anzutreten und über Göttingen, Hamburg nach Berlin zu machen gedenke, mich brieflich an Sie wenden, um in einer Angelegenheit, die mir sehr am Herzen liegt, nichts zu versäumen.

Wie ich erfahren habe, wird man mit Ihnen in Unterhandlung treten, um Sie als Ordinarius für Zoologie undb für Würzburg zu gewinnen. Ich zweifle nicht, daß Sie diesen Ruf annehmen werden, dem Ihr College Bezold bereits gefolgt ist. Würzburg ist eine sehr angenehme Universität und bietet jedenfalls einen größeren Wirkungskreis als Jena. Die Sammlung für Zoologie ist zwar dort sehr vernachläßigt worden, man weiß das aber höheren Orts und fühlt es, daß für dieselbe etwas ordentliches geschehen mußc; man wird um so mehr für die zoologische Sammlung etwas thun, wenn Sie bei Ihrer Berufung auf Verbesserung dieser Attribute bestehen und Nachdruck legen. Ich setze also voraus, daß Sie den Ruf nach Würzburg annehmen und erlaube mir nun, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß eine jüngere Kraft, welche Ihre Stelle in Jena zu ersetzen hätte, in dem Privatdocenten Ehlers in Göttingen zu finden wäre, der seit mehreren Jahren, || sich für das Fach der Zoologie und Vergleichende Anatomie vorbereitet hat und der mit Sehnsucht den Augenblick erwartet, der ihm erlaubt, sich diesem Fache mit voller Kraft hingeben zu dürfen. Wenn ich aus der Schule plaudern darf, so habe ich bei der Besetzung der Professur in Marburg nach Herold’s Tode, nachdem ich zu einem Gutachten aufgefordert war, folgende Vorschläge gemacht, primo loco: Dr. Klauss, den ich als Marburger nicht umgehen konnte, von dem ich aber nicht glaubte, daß er von Würzburg fortgehen würde, secundo loco: Sie und tertio loco: Dr. Ehlers. In dieser Weise gingen die Vorschläge von Marburg nach Cassel, und in dieser Weise wurden von Cassel aus die Unterhandlungen mit Klauss begonnen und zu meiner Ueberraschung geschlossen. Klauss hat es oft genug bereut, Würzburg verlassen zu haben. Ich glaubte, Sie würden an die Reihe gekommen sein, und dann hätte ich schon damals gehofft, Ehlers nach Jena zu empfehlen. Jetzt sind einige Jahre darüber vergangen, Ehlers ist um so viel reifer geworden, daher ich Ihnen denselben zunächst empfehle, weil ich weiß, daß die Stimme des abgehenden Lehrers ein Gewicht ausübt auf die zurückbleibenden. Glauben Sie, daß es gut wäre, wenn ich deshalb seiner Zeitd auch an den Curator Herrn Seebeck schriebe, dem ich nicht fremd bin, oder hat man sich, die Gefahr Ihres Verlustes vorausahnend, schon längst sich darauf gefasst gemacht und andere Pläne vor? ||

Ich komme in acht Tagen nach Göttingen, vielleicht haben Sie die Güte, mich durch einige Mittheilungen über diese Angelegenheit zu orientiren. Meine Adresse ist: bei Professor Meissner in Goettingen.

Jedenfalls freue ich mich außerordentlich, Sie zunächst in Berlin zu begrüßen und dann später mit Ihnen als Fachgenossen im schönen Baÿernlande in noch nähere Beziehungen treten zu können.

Mit ausgezeichneter Hochachtung

Ihr ergebenster

v. Siebold

a gestr.: Antretung, eingef.: Beginn; b gestr.: nach, eingef.: und; c eingef.: muß; d eingef.: seiner Zeit

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
27.03.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 15290
ID
15290