Max Fürbringer an Ernst Haeckel, Heidelberg, 21. Oktober 1916
Heidelberg, 21.10.1916.
Lieber und hochverehrter Freund!
Herzlichsten Dank für Deinen lieben Brief und Deinen „Arnold Lang“, beides Denkmale Deiner unverminderten Frische und Arbeitskraft, was wir mit innigster Freude begrüßten.
Deine Lang-Biographie habe ich mit Rührung gelesen; in ihr weht noch der Hauch der gegenseitigen Dankbarkeit und Treue, die in der Jetztzeit sich aus der modernen Welt ziemlich zurückgezogen haben. Lang war auch für mich als verdienstreichster Forscher und als Mensch eine der sympathischsten Erscheinungen, und seinen viel zu frühen Tod habe ich auf das Tiefste beklagt. Nicht allzu lange zuvor besuchten meine Frau und ich, die wir damals in Locarno waren, ihn in seinem netten Heim zwischen Land-||straße und Lago maggiore in der Nähe von Brissago; er litt infolge seines Herzleidens an etwas Athemnot, war aber sonst ganz frisch, so daß wir keine Ahnung von der Schwere seiner Krankheit hatten und aufs Tiefste überrascht und erschüttert waren, als wir vernahmen, daß er uns so früh dahingenommen worden. Er hat gelebt für alle Zeiten; have pia anima!
Mit großer Freude lasen wir, daß Du mit der Einrichtung des Phyletischen Archivs erfolgreich beschäftigt bist und durch die definitive Anstellung von Dr. Heinrich Schmidt, dem ich herzlich dazu gratuliere, dauernde Hilfe gefunden hast. Deiner Frl. Enkelin zur Verlobung unsere besten Glückwünsche; hoffentlich bleibt sie bis zu ihrer Verheiratung noch bei Dir und hoffentlich segelt ihr || Bräutigam nur mit Erfolg durch die Küste.
Auch Heidelberg wimmelt von kranken und verwundeten Soldaten, die immer aufs Neue von der Fronte hier in Behandlung kommen. Die Erfolge sind hier gut, und doch ein ewiger Wechsel, der immer wachsend zur Vernichtung führt. Wie sehr man auch die heldenhafte und aufopferungsvolle Tätigkeit unserer Vaterlandsverteidiger bewundert, man ist doch fassungslos über diese bornierte Menschenbestie, die alle Intelligenz auf die Zerstörung des Lebens und der Kulturwerte anwendet. Wenn der Krieg noch lange andauert, so wird Europa ein großes Grab werden, über dem sich der Amerikaner und Japaner frohlockend die Hände reichen. Möchte nur England niedergerungen werden!
Uns geht es nicht besonders. Die || vielen trostlosen Verluste in den nächsten Kreisen, die Vernichtung so vieler hoffnungsvoller lieber Schüler verträgt man nicht so leicht. Außerdem hindert die überaus mangelhafte Ernährung, die gerade mich betriffta, der ich immer an einem leistungsunfähigen Digestivsystem litt und auf eine besondere Nahrung angewiesen war, die es jetzt nicht mehr in Baden gibt. b Um nicht zu verhungern, waren wir geraume Zeit in der Schweiz und zuletzt in Karlsbad (der erste Badeaufenthalt meines Lebens!), aber das Drohnen- und Vagabundenleben ohne erste Arbeit war auf die Dauer unerträglich.
Ich vergaß oben, Dir unsere Freude an den beigegebenen Bildern zu Langs Biographie auszudrücken. Dein Bild auf dem Gruppenbild von Euch Beiden gehört zu Deinen besten, aber auch die beiden anderen von Lang sind wundervoll.
Allerherzlichste Wünsche und Grüße von uns Beiden.
Dein M. Fürbringer.
a eingef. mit Einfügungszeichen: betrifft; b gestr.: betrifft