Fürbringer, Max

Max Fürbringer an Ernst Haeckel, Heidelberg, 30. November 1902

Heidelberg, 30.11.02.

Lieber und hochverehrter Freund!

Herzlichsten Dank für Deinen lieben Brief, der die einigermaßen schwierige Frage lichtet und den ich mit grosser Freude an Ruge weiter sandte. Er wird daselbst, dass bin ich überzeugt, dankbares Verständnis finden.

Zur weiteren Aufklärung theile ich Dir folgendes im Vertrauen mit.

Als Gegenbaur sich von allen Geschäften zurückzog, übertrug er im Einverständniss mit Herrn Reinicke die Redaktion der Morphologischen Jahrbücher an Ruge. Mich betreffend sprach er den Wunsch aus, dass ich seine vergl. und menschl. Anatomie übernehmen möchte. Es war dies eine Theilung seines Vermächtnisses, durch die ich den besseren Theil erhielt, wozu noch kam, dass er mich in Heidelberg unico loco als seinen Nachfolger in Vorschlag gebracht und mir gewissermassen zur Verpflichtung gemacht hatte, alle Kräfte für Maurers Nachfolge in Jena einzusetzen. Durch Ruges Berufung nach Heidelberg oder Jena wäre zweifellos Zürich an den einer || ganz anderen Richtung angehörenden, aber allgemein als den sicheren Nachfolger Ruges betrachteten Prof. Felix verloren gegangen; das war wohl ein wesentlicher Grund Gegenbaurs, wozu natürlich noch kam, dass er Maurer sehr hochstellte und mit vollster Überzeugung empfehlen konnte. Ausserdem aber hatte Ruge unendlich grössere Verdienste für das Morph. Jahrb. als ich, der an sich schreibfaul und mit der Jenaisch. Zeitschrift verbunden, dem Morph. Jahrb. seit Urzeiten nichts hatte zukommen lassen.

Die Übertragung des Morph. Jahrb. an Ruge allein war somit den Akt der Gerechtigkeit und im Vergleich zu dem, was mir geworden, eine magere Gabe an Ruge. Ob und in wie weit beia Ruge über diese Entscheidung Verstimmung bestanden hat, weiss ich nicht. Jedenfalls hat er sich als ganz vornehmer Charakter mit der Sache abgefunden, und meine Pflicht war es, für den engsten Anschluss an ihn zu sorgen, seine Stellung als alleinigen Redakteur rückhaltlos anzuerkennen und, soweit das ihm dienlich, ihn zu stützen. So habe ich mich auch jedweden ungerechten Rathes enthalten, um ihm nicht den Eindruck zu erwecken, als ob ich hier, wo er nach Gegenbaur’s Entscheidung Alleinherrscher || ist, auf ihn Einfluss hätte ausüben wollen.

Von den Abhandlungen Fleischmanns und seiner Schüler erhielt ich erst Kenntniss mit der Zusendung des betreffenden Heftes durch meinen Buchhändler. Natürlich war ich ebensowenig wie Du – und wie auch Ruge – von dem allgemeinen Theile dieser Arbeit erbaut; aber getreu meinem Vorsatze enthielt ich mich jeder Kritik hinsichtlich der Aufnahme in das Morph. Jahrbuch. Doch hatte ich nicht den mindesten Zweifel, dass diese Aufnahme durch Ruge erst nach einer ganz gründlichen Erwägung des Für und Wider geschehen war. Ich halte Ruge für einen der gewissenhaftesten und vorsichtigsten Menschen. Wahrscheinlich fehlte ihm aber die genauere Kenntnis von Fleischmanns ganzer Haltung.

Deinen ersten Brief mit seiner begreiflichen Erregung konnte ich Ruge nicht übermitteln, namentlich nicht wegen des Passus, der eine eventuelle Übernahme der Redaktion des Morph. Jahrb. durch mich berührte. Ich machteb daher Ruge nur auszugsweise Mittheilungen über Deine Beurtheilung der Fleischmann’schen Arbeit im Rahmen des Morph. Jahrbuches, gab dabei gleichzeitig meiner Geringschätzung Fleischmanns || Ausdruck, enthielt mich aber absolut der Redaktionsfrage. Ruge schrieb mir darauf einen ruhigen erklärenden Brief, worauf hier ich Dir das Wesentliche mittheilte.

Dein jetziger Brief hat in der erfreulichsten Weise die Spannung gelöst, und ich bezweifle keinen Augenblick, dass Ruge bei seiner Verehrung für Dich Deinen Anschauungen Rechnung tragen wird. Er wird Dir dankbar sein für das warme Interesse, das Du an dem Morph. Jahrbuch nimmst.

Mit herzlichsten Grüssen und Wünschen

Dein

M. Fürbringer.

a eingef. mit Einfügungszeichen: bei; b gestr.: gab, eingef.: machte

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
30.11.1902
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 1361
ID
1361