Eduard Strasburger an Ernst Haeckel, Bonn, 6. Dezember 1899
Bonn d 6 Dec 1899
Lieber Freund!
Erst wenn man älter wird, fängt man an, den tiefen Sinn des alten Anspruchs zu begreifen, dass die Götter Den den sie lieb haben, jung zu sich nehmen. Aus Deinen lieben Zeilen ersehe ich mit Trauer, dass Du viel Kum-||mer im Hause hast. Mir ergeht es nicht besser. Vor zwei Jahren war meine Frau schwer krank; im vorigen Winter mehr als gesund, das heisst im exaltirten Zustand, und dann stellte sich wieder die Depression ein. Ich hoffte für sie auf Erholung in der Schweiz; ein längeres Verweilen im Hôtel wurde || aber alsbald unmöglich, und ich musste mit ihr nach Konstanz reisen, wo sie nunmehr über drei Monate in der Nervenheilanstalt Konstanzer Hof weilt. Die beiden dirigirenden Ärzte: Fischer und Mülberger machen mir die Hoffnung, dass sie das überwindet, wenn sie erst aus den Wechseljahren tritt. Momentan geht es || wieder besser, und ich denke bei ihr die Weihnachtsferien zuzubringen, und wenn schon möglich, sie mit nach Hause zu nehmen.
Herzlichen Dank für Dein neues Buch, das ich während der Weihnachtsferien lesen will. Zunächst gratulire ich Dir schon zu dem Erfolg! Ein Exemplar des Lehrbuchs werde ich Dir mit Freuden in einiger Zeit senden und auch auf geeignete botanische Abbildungen für Dich achten. An Deinen Kunsttafeln habe ich grossen Genuss und auch für diese danke ich Dir herzlich.
Mit freundschaftlichem Gruss und vielen Empfehlungen
Dein
E. Strasburger