Ihering, Hermann von

Hermann von Ihering an Ernst Haeckel, Sao Paulo, 16. November 1914

MUSEU PAULISTA

DIRECTOR DR. H. VON IHERING

SÃO PAULO, 16 De Nov. DE 1914.

Hochgeehrter Herr Geh. Rath!

Für mancherlei gütige Zusendungen haben Siea mich zum Dank verpflichtet – ich schrieb Ihnen – aber erhielten Sie wohl den Brief. Ich habe seit Ausbruch des Krieges stets ohne Erfolg einer Antwort geschrieben. Zu aller Erschwerung kommt noch die Gemeinheit der Engländer deutsch-oesterreichische Post, wo sie ihrer habhaft werden koennen, ins Meer zu werfen. Jetzt hat sich mir die Gelegenheit geboten via Holland Briefe zu schicken und so möchte ich Ihnen nochmals schreiben. Ihren trefflichen Mahnruf gegen England habe ich hier in || der „Deutschen Zeitung“ zum Abdruck gebracht.

Die Stimmung ist hier gegen uns, aber nicht sehr erbittert, und eine ganze Reihe von geistig Nahestehenden Brasilianern wirken in Presse und Vortrag zu Gunsten Deutschlands. Ich glaube, dass die Presse viel Geld von England geschluckt hat und es waere vielleicht gut gewesen man haette es deutscher Seits ebenso gemacht. Die deutsch-oesterreichische Kolonie haelt gut zusammen, sie steht aber vor schweren Aufgaben. Der erste Teil, die Fürsorge für die zurückgebliebenen Familien der nach drüben abgereisten Reservisten ist gut geloest, der zweite Teil den stellungslosen Deutschen Hülfe zu leisten gelingt nicht recht; sie leiden wie so viele andre Elemente durch die Arbeitslosigkeit. Dass auch Brasiliens || Mutterland Portugal gegen Deutschland ist erschwert uns hier den Stand, der aber nicht zu verwundern ist, wenn mann alltäglich in allen Zeitungen Lügen über Deutschland trifft. Sehr bedauerlich ist die Schwäche Nordamerikas, das jetzt den Werth seiner Monroedoktrin praktisch haette erweisen müssen. Statt dessen Schwäche Versagen wie schon im Conflikt mit Mexiko. Da der Telefunken-Dienst Berlin – New York richtig funktionirt fehlt uns nichts als ein amerikanisches Kabel, d. h. als eines das von englischer Censur frei ist. Warum fehlt es warum haben wir keine amerikanischen Verkehrsline, Routhen u. s. w. Dass Canada sich am Krieg beteiligt und nun die Japs ihre Kriegsschiffe in den pacifischen Gewässern Amerikas sich breit machen dürfen, entspricht dem amerikanischen Interesse gar nicht, welches aus dem Kriege bleiben wollte. Eine scharfe Note aus Nord- u. Südamerika und England haette die neutralen Schiffe in Ruhe || gelassen und unsern Post- u. Telegraphendienst nicht behelligt.

In 8–10 Tagen veröffentliche ich mein Katalog der patagonischen Tertiärconchylen den ich Ihnen sende mit der Bitte, das allgemeine Schluss Kapitel in Deutsch lesen zu wollen. Erhielten Sie Bd. IX unserer Revista worin meine Arbeit über Biologie brasilianischer Cuculiden Sie vielleicht interessiert – resumé in Deutsch. Mein naechstes Ziel ist das Buch über die „Zoogeographischen Grundgesetze“… Ich habe immerzu Reisende unterwegs, reiches neues Material und viel Freude an der Arbeit – aber keinen Dank weder anständige Bezahlung noch Anerkennung. Ungerechtigkeit und selbst Verläumdung, ewig Zank und Verdruss wenn man mit Missbrauch, schlechter Arbeit etc. nicht zufrieden ist. So sehne ich mich danach die undankbare Stellung als Pionier deutscher Wissenschaft nicht bis an das Lebensende fortzuschleppen. Sollte Deutschland unterliegen, so sehe || ich es nicht wieder, überwindet es aber den Gegner im Titanenkampf so möchte ich gern dahin zurückkehren. Obwohl noch in voller Arbeit bin ich doch im 60’ten Jahr keine empfehlenswerthe Aquisition mehr aber vielleicht findet sich dann eine mehr repraesentative Stellung – Museum in Brüssel? – Ich möchte Sie gebeten haben meiner zu gedenken wenn Alles so kommt wie wir hoffen!

Wundervoll ist hier nur die Natur – aber die verpfuscht man durch die Zerstoerung der Waelder so dermassen, dass schon unser Klima sich ganz ändert. Ich habe einen netten botanischen Garten beim Museum aber ausser für mich und einige Gefährten am Museum interssiert er Niemanden. Die Naturwissenschaften haben ja nur in so weit Interesse als sie praktischen Nutzen geben.

In der Hoffnung gelegentlich von Ihnen zu hoeren mit freundl. Gruss

Ihr

ergebenster

Hermann von Ihering

a korr. aus: sich

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
16.11.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 11439
ID
11439