Anonym

Anonymus an Ernst Haeckel, Bonn, 25. Juni 1900

Bonn, den 25. Juni 1900.

Lieber Häckel!

Der hier neu konstituierte Verein Häckeliana giebt sich die Ehre, Ihnen seine Hochachtung über die jüngst edierten 7 Welträtsel auszudrücken. Die Welt wird sich nicht genug beglückwünschen können, daß Sie Ostersonntag auf den Gedanken kamen, ein derartiges Werk zu schreiben. Es klingt ja freilich manches so, als ob sie auch noch die Fast-||nachtstage zur Correctur benutzt hätten; im Ganzen aber glauben wir Ihnen gern, daß dies System ein Product jenes hl. Tages ist, an dem Sie gewiß einmal kanonisiert werden, wenn der Monismus später in immer wiederkehrendem Kreislauf in Ihnen den Heiland und Erlöser einer unter dem Papismus seufzenden unterdrückten Menschheit verehren und anbeten wird. Wir freuen uns schon auf jene Zeit, wo eine betende Menge vor dem Urania-Altar knien wird, um in Verehrung für ihren ersten Heiligen sich in || die weltbewegenden Ideen der Zoologie, Biogenie u. Embryologie zu versenken. Wir geben Ihnen einstweilen die Versicherung, daß wir eifrige Kolporteure der Bibel der Zukunft sein wollen. An die Hotelbesitzer Bonns & Umgegend haben wir bereits die Bitte ergehen lassen, Ihr Buch neben den „Fliegenden Blättern“ auf den Tisch zu legen. Um somit eine möglichst schnelle Verbreitung zu ermöglichen, ist bei uns schon der Gedanke rege geworden, eine neue Bibelgesellschaft zu gründen. Auch bitten wir Sie aus demselben Grunde, den „Strich unter || Ihrera Lebensaufgabe“ noch einmal wegzuradieren und die Rätsel in gemeinverständlicher Fassung für unsere geschwänzten Kommilitonen in den Urwäldern und Feuerland etc. etc. neu herauszugeben. Wir vertrauen auf Ihre psychologischen Studien nach dieser Richtung hin und wissen, wie leicht es Ihnen sein wird, sich der Affenideenwelt ganz zu assimilieren. Auch in anderer Hinsicht möchten wir uns Ihrer hohen Lebensaufgabe förderlich erweisen, als wir augenblicklich mit dem Entwurfe eines Weltstammbaumes beschäftigt sind, der die Entwicklung von Urschleim, dem || Darm der Entwicklungswurst, v. Gasträa, dem wurmähnlichen Stammvater der Wirbeltiere, dem hochseligen Bathybius u. den Plastidulen bis hinauf zum homo sapientissimus, der sich inb Ihnen verkörpert, darstellen soll. Zeichner haben sich bereits gefunden und geben wir Ihnen die Versicherung, daß dieser Stammbaum in der jetzt zur populären Form von Ansichtskarten Verbreitung finden wird. Eines fehlte uns freilich noch, worum wir Sie höflichst bitten, ihr wertes Portrait. –

Wie Sie sehen, haben Sie in uns die chauvinistischsten (Vestre) Apostel Ihrer Descendenzideen || gefunden, wir werden darum auch schwer dagegen opponieren, wenn später bei Ihrer Canonisation ein advocatus diaboli geltend machen sollte, daß Sie alle die embryonalen und genealogischen Kunststücke gemacht hätten, die Sie bei der derzeitigen Gelehrtenwelt so anrüchig machten. Daß Sie Dubois-Reymond, Kant, Virchow und den übrigen Herren geschwächte Denkkraft und eine durch das Alter getrübte Einsicht vorwerfen konnten, weil sie Ihrer monistischen Jugendanschauung untreu wurden, hat uns mit nicht geringem || Stolze für unsere Sache erfüllt. Die Genialität, mit der Sie solche „Stänker“ abfertigen, hat uns denn auch nicht übel gefallen. Die Vereinigung, die sich nach Ihnen benennt, zählt leider noch erst 6 Mitglieder; jedoch hoffen wir, daß die bald erfolgende Publication am „Schwarzen Brett“ Erfolg haben wird, wenngleich sich auch manche Füchse zurückziehen werden, die von Ihren großen Anforderungen an die Zukunft hören. Augenblicklich haben wir uns mit den noch hoffnungsvollen Bewohnern der Urwälder telegraphisch in Verbindung gesetzt, damit baldigst, vielleicht || noch amc nächsten Ostersonntag, Processionen in hellen Schaaren von dort zu dem geheiligten Mekka der Zukunft wallen.

Bis dahin seien Sie | herzlichst gegrüßt | von Ihren

FulkoSyph

Dr. phil. Dr. jur. Dr. r.Dr. med. Dr. rer. tech.

Ps. Nur in einem Punkte gestatten wir uns etwas anderer Meinung zu sein, nämlich in der Frage des Determinismus; das müssen Sie ändern; es könnte nämlich einmal der Fall eintreten, wo sich heftige Gegner „physiologisch determiniert“ fühlten, uns d zu Leibe zu rücken. Quid nemo?

a korr. aus: ihrer; b eingef.: in; c eingef.: am; d gestr.: einmal

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
25.06.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10969
ID
10969