Hanna Leuchs an Ernst Haeckel, Nürnberg, März 1900
Nürnberg, März 1900.
Mein Glaubensbekenntniss.
Nein ich glaube nicht an einen Gott –
Ich verschmähe ihn, den Weisen, Guten –
Dem zu Ehren – nein, zum tiefsten Gott! –
Jährlich tausend Menschenherzen bluten. –
O ihr Glaubensvollen! Macht euch klein!
Dankt dem Gott für auferlegte Bürde!
Dankt dem Hohen für die schwerste Pein!
Dankt ihm für entehrte Menschenwürde!
Euren knechtschen Sinn hat man betört
Daß er um so tiefer sinken werde – – –
In die Kirche was dem Gott gehört!
Mir dem freien Menschen – laßt die Erde!
Mir laßt Blumen, Bäume, Sträucher blühn –
Vogelstimmen aus den Höhen schallen –
– Mich laßt knien vor dem satten Grün
Vor der Wälder säulenstolzen Hallen!
Mir gehört die Blütenpracht am Zweig –
In dem Moose fühl ich heimlich Leben –
Dort Natur, in Deinem starken Reich
Kann auch ich die Arme betend heben! ||
Dort empfang ich Schönheit –
Wahrheit – Licht
Meine Seele wird dem Guten offen –
Was die Knospe mir verheißend spricht
Läßt mich jauchzend von der Zukunft hoffen!
Auf den Weg ihr Brüder: Kraft und Mut!
Stetig wird die Wahrheit sich entschleiern!
Einst – wenn unser Leib vermodernd ruht
Werden Enkel ihre Siege feiern! ||
Euer Hochwohlgeboren!
Sehr geehrter Herr Professor!
Gestatten Sie daß ich Ihnen mit diesen kurzen Worten für den unauslöschlichen Genuß danke, den mir Ihr Buch „Die Welträtsel“ gegeben hat.
Ja, wir glauben an die Göttin der Wahrheit die in der Natur wohnt!
Und unser Glaube macht uns frei und groß! –
Ihr Werk – doch nein, was ich schreiben will ist zu schwach um das auszudrücken was ich empfinde.
Bitte, sehen Sie nichts Aufdringliches darinnen, daß ich Ihnen mit diesen Versen gedankt habe – aber ich konnte nicht anders als Ihnen schreiben.
Mit der Versicherung ausgezeichneter Hochachtung
Ehrerbietigst ergebenst
Hanna Leuchs.