Albert, Ottokar

Ottokar Albert an Ernst Haeckel, Klosterneuburg, 26. September 1903

Klosterneuburg, am 26. September 1903.

Hochgeehrter Herr Professor!

Vor Allem bitte ich mir meine Unbescheidenheit nicht übel nehmen zu wollen, daß ich als einzelner, fremder und einfacher Mensch mir die Freiheit nehme Ihnen zu schreiben. Es drängt mich aber mächtig dazu Ihnen, als dem Verfasser der „Welträtsel“, die ich jetzt gelesen habe offen zu gestehen, daß ich mich den darin zum Ausdrucke gebrachten Anschauungen völlig anschließe. Es bietet mir das eine große Genugtuung dafür, daß ich meine Überzeugungen verbergen muss, wenn ich Ihnen, Herr Professor, als dem größten Vertreter der monistischen Weltanschauung ein offenes Bekenntnis ablegen kann.

Auch ich habe von Jugend auf nachgedacht und gar bald erkannt, dass unser heutiges Leben voll von Widersprüchen ist, die auf Geist und Gemüt hemmend wirken. Auch ich habe schon am Gymnasium den Zwiespalt empfunden, der zwischen Religion, nämlich Dogmatik und Liturgie und den Naturwissen-||schaften besteht.

Schon in der Volksschule geschah es einmal, daß ich dem Katecheten, als er uns von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele vortrug fragte, ob die Tiere auch eine unsterbliche Seele hätten. Ich urteilte damals so, daß die Tiere, wenn sie auch nicht sprechen können, doch gerade so wie die Menschen sich willkürlich bewegen, Leben besitzen, Freude und Schmerz gerade so empfinden müßen wie wir, daher auch beseelt sein müssen. Allerdings war der Herr Katechet nicht sehr erbaut über diese kindliche Frage und ließ sich auf einen weitläufigen Vergleich der Tiere mit Maschinen ein, der mir aber unverständlich blieb. Ich hatte natürlich damals weder von Darwin noch von der Descendenz- oder Selektions-Theorie eine Ahnung. Aber nichts destoweniger blieb mir diese Erörterung sowie auch meine erste Beichte sehr gut im Gedächtnisse, sowie auch noch andere Begebenheiten die ich aber nicht alle aufzählen kann, weil ich nicht weitschweifig werden will. ||

Jetzt bin ich Offizier und wenn ich auf dem Weg, den ich bisher zurückgelegt habe zurückblicke so kann ich vom „freien Willen“ auch nicht viel sagen. Im Gegenteil eben in meinem Berufe, dem ich schon 15 Jahre angehöre habe ich nicht nur den „freien Willen“ sondern auch das freie Denken und Urteilen vermißt. Dem „freien Willen“ habe ich schon längst den Abschied gegeben, dennoch habe ich mir das freie Denken bewahrt, obwohl ich davon gar keinen Gebrauch machen kann darf. Ich behaupte sogar, daß das Dogma vom „freien Willen“, wie es uns schon in der Schule gelehrt wurde ein höchst gefährliches ist und bei konsequenter Durchführung zum reinen Anarchismus führen müsste. Glücklicherweise ist dieser ganze freie Wille nur ein Hirngespinst und gar kein menschliches Bedürfnis denn es macht ja doch fast niemand Gebrauch davon, und kann es auch nicht, da wir ja alle den ewigen, unwandelbaren Naturgesetzen unterworfen sind. ||

In meinem Stande ist nicht nur das vernünftige Denken sondern auch jede Handlung die rein instinktiven Antrieben entspringt verpönt. Die Repräsentationspflichten, die zugleich die schwersten Lasten meines Berufes bilden gehen immer voran. Alte Traditionen, die gar nicht zeitgemäß sind sollen noch respektirt werden. Dazu kommen noch die nationalen Zwistigkeiten, der furchtbare Druck der römischen Kirche und der damit zusammenhängende abscheuliche Antisemitismus. Da ist man froh und fühlt sich erleichtert und getröstet wenn man ein Buch wie Ihre „Welträtsel“ in die Hand bekommt. Ich habe zwar auch Darwin gelesen, Büchner und Bölsche, aber den bedeutendsten Eindruck haben auf mich Max Nordens „Konventionelle Lügen der Kulturmenschheit“ und Ihre „Welträthsel“ gemacht. Nochmals muss ich es zum Ausdrucke bringen, daß ich vollständig mit diesen Anschauungen übereinstimme und daß mir dieselben viel Trost und wenigstens einen Lichtblick in die Zukunft bieten.

Ich bitte nochmals mir meine Unbescheidenheit nicht übel nehmen zu wollen und bin mit Hochachtung mich vorstellend

Ottokar Albert

Oberleutnant des Pionier Zeugsdepots

in Klosterneuburg bei Wien.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.09.1903
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10878
ID
10878