Friedrich Bockelmann an Ernst Haeckel, Rudolstadt, 10. November 1906
Rudolstadt 10 Nov. 1906.
Hochgeehrter lieber Herr Professor!
Ihr so anregender interessanter Vortrag beschäftigt mich noch heute und habe ich das Bedürfnis mich darüber auszusprechen, hier in der Hof- und Residenzstadt habe ich dazu keine Gelegenheit, darf ich es wagen mich mit Ihnen dem Meister, darüber zu unterhalten?
Auch ich nehme ein autocellulares bewusstes Wirken an (Plastidulenseele) welches nicht zum Gehirnbewusstsein kommt (also cellulares, zweckmässige bewusste Thätigkeit, ohne bewusste Cerebralthätigkeit).
Im Wildunger Falle aber nehme ich eine rein zufällige Coincidenz || einer Verstümmelung der kindlichen Hand mit der des Vaters an.
Derartige Verstümmelungen (Abtrennungen) kindlicher Theile (Glieder) in der embryonalen Entwickelung werden durch amniotische Abschnürungen hervorgerufen (Foeto amniotische Bänder nach Simonart (Simonart/filamentöse Adnexa, Umschnürungsdefecte, Selbstamputation).
Die zufällige Coincidenz der embryonalen (angeborenen) Verstümmelung des Kindes mit der erworbenen des Vaters ist interessant, hat aber für mich nichts "wunderbares". Die Seelenthätigkeit als ursächl. Moment der Mutter schließe ich im vorl. Falle gänzlich aus. || Ueber Anomalien des Amnion siehe u. A. p. 336. Prof. Spiegelberg Geburtshilfe u. p. 173 Prof. Kleinwächter Geburtshilfe ‒ amniotischer Umschnürungsdruck Mißbildungen/speciell Defecte (Selbstamputation).
Ich besitze ein Buch, welches den immer blühenden Aberglauben critisch behandelt, ich erlaube mir Ihnen einen Auszug beizulegen der u. A. "Versehen" etc. behandelt; sollte dieses Buch Sie interessieren (Aberglaube und Zauberei von den ältesten Zeiten an bis in die Gegenwart. von Dr Alfred Lehmann Direktor des psychophysischen Laboratorium an der Universität Kopenhagen übers. v. Dr Petersen, Verlag Stuttg. Ferd. Enke) so steht es zu Ihrer Verfügung.
Herzlichst grüßt
Ihr alter treuer Verehrer
FBockelmann