Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Heidelberg, 30. Juli 1899

Heidelberg 30. Juli 99

Liebster Freund!

Deinen noch Mitte Mai mir zugegangenen Brief kann ich erst jetzt beantworten, nachdem mir das Semester manche Hinderung gebracht hatte, und zuletzt noch der Besuch meiner Tochter mit ihrem Sohne, allerdings nur in erfreulicher Weise, manche Abhaltung bot. Daß es Deiner lieben Frau besser geht, habe ich mit Freude gelesen, und wünsche jetzt nur die Dauer, und die Erstreckung der Besserung auch auf die Tochter. Das Gedeihen der zoologischen Proles in Jena entspricht nur der Tradition, und wird Dir nicht blos Freude, sondern auch Nutzen bringen. Es wird überhaupt von großem Vortheil sein, wenn sich in Jena unter Deiner Aegide ein Zoologenstamm entfaltet, welcher dem kommenden Jahrhundert wenigstens die Früchte des endenden conservirt, und dem elenden Promessenspiele reale Werthe entgegensetzt, welche die fernere Entwickelung in zielbewußter Bahn erhalten. Das scheint mir die Hauptaufgabe zu sein.

Von Deinen Kunstformen in der Natur habe ich Dir || für das zweite Heft zu danken, und kann nur sagen: vivant sequentes! Es ist hocherfreulich, daß das Unternehmen so vortrefflich einschlägt. Daß es Dich nicht von neuen Geistesflügen abhält, ist mir ein Zeichen von der Dauer Deiner altbewährten Frische.

Mir geht es leidlich. Das Pedale hat sich nicht gebessert, ich habe das auch gar nicht erwartet, und bin zufrieden, wenn es nicht schlimmer wird, denn gegenwärtig kann ich doch noch meinem Dienste nachgehen, und habe den Sommer über, wie schwerlich einer der anderen, so viel jüngeren Collegen, keine Vorlesung auszusetzen gehabt. Während der Osterferien habe ich Kanoldt besucht, ich hatte meine Tochter mitgenommen um ihm durch sie einige Arbeiten vorzulegen. Er war sehr liebenswürdig, versprach auch Empfehlung bei einem Aquarellisten, wie ich ihn gebeten hatte. Ob unser Zweck erreicht wird, ist bis jetzt noch unbekannt. –

In der nächsten Woche werde ich das Semester schließen. Was dann, kann ich nicht angeben. Meine Frau hat keinen guten Sommer gehabt. Sie leidet immer noch an manichfaltigen Schmerzempfindungen, gegen die die Medizin bis jetzt vergeblich kämpfte. Einzelne Versuche auszugehen, endeten kläglich. Ob wir die Absicht || nach Mitte des August wieder nach Baden zugehen, werden ausführen können, erscheint mir höchst problematisch! Ein schwereres Leiden scheint nicht vorzuliegen. Das vorhandene Uebel ist für sie wie für uns gerade groß genug!

Unter allen Umständen werde ich mich freuen, Dich begrüßen zu können, um so mehr als Deine soeben erhaltene Karte dieses in präcise Aussicht stellt. Zu jener Zeit werde ich sicher hier sein. Bis dahin lebe wohl und empfange die herzlichsten Grüße

von Deinem alten

Gegenbaur

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
30.07.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 10182
ID
10182